Kurzgeschichten

Frieda und Friedel die Geddichtel – eine Weihnachtsgeschichte

Vor vielen Jahrhunderten gebar die Weihnachtsfrau zwölf Jahre in Folge einen Weihnachtswichtel. Diese teilte sie auf die Orte der Gemeinde Bretzfeld auf, mit der Aufgabe den Bürgerinnen und Bürgern in den Orten möglichst schöne Weihnachten zu bescheren. Auf jedem Weihnachtmarkt und in allen Geschäften in jedem Ort befinden sich die Wichtel und verstreuen den Zauber der Weihnacht. So gibt es in Unterheimbach den Unterichtel Igor, in Bretzfeld die Bretichtelin Luna, in Waldbach den Waldichtel Felix und so weiter. Im zwölften Jahr aber, gebar die Weihanchtsfrau Zwillinge und da nur noch der Ort Geddelsbach frei war, bekam er eben zwei Geddichtel. Die Zwillingswichtel Frieda und Friedel hatten die Aufgabe Geddelsbach mit ihrem Weihnachtszauber zu beschenken. Sie schlafen das ganze Jahr über im Dachgiebel der Kelter, um Energie für die Weihnachtszeit zu sammeln. Doch dieses Jahr war etwas anders…

„Friedel wach auf! Ich glaube wir haben verschlafen!“, „Was? Es ist doch erst November.“, antwortete Friedel. „Nein, heute ist die Nacht auf den ersten Advent. Das heißt wir müssen schnell unsere Sachen packen und losgehen!“ Friedel riss die Augen auf und schreckte nach oben. Mit einem lauten Rumps schlug er sich den Kopf am Pfosten über seinem Bett an. „Au!“, schrie er laut, während er sich die Stirn streichelte, die vom Zusammenprall mit dem Pfosten schon leicht rot anlief. „Ach Friedel! Komm steh auf, wir müssen uns beeilen. Wir haben die Kinder überhört und sind deshalb nicht aufgewacht.“, erklärte Frieda.

Jedes Jahr, wenn die Kinder von Geddelsbach sich bereit für den Winter machen, ihre Schlitten vom Dachboden kramen und die ersten Schneemänner bauen, wachen die Geddichtel von ihrem Sommerschlaf auf und verstreuen im ganzen Ort den mystischen Zauber der Weihnacht.

„Wieso sind wir nicht aufgewacht?“, fragte Friedel, während er aus dem kleinen Fenster unter dem Dachgiebel hinunterblickte. „Und wo sind all die Schneemänner?“ Friedel konzentrierte sich mit all seiner Anstrengung, um auf die Apfelwiese über der Kelter zu blicken. Normalerweise sind um diese Zeit schon die Abdrücke der Schlitten im Schnee zu erkennen.  „War denn noch niemand Schlitten fahren dieses Jahr?“ „Weißt du Friedel.“, antwortete ihm Frieda „Normalerweise habe ich ja auf alles eine Antwort, aber dieses Mal kann selbst ich dir nicht weiterhelfen.“ Das Friedel gelegentlich mal etwas verwirrt war, war nichts neues für Frieda. Eigentlich konnte sie ihm auf jede Frage, die es zu Geddelsbach gab, eine Antwort geben. Doch dieses Mal konnte auch sie ihm nicht weiterhelfen. Schnell zogen sie ihre grün rot gestreiften Wintermäntel und die Sprungstiefel an. Die Sprungstiefel waren ganz besondere Winterstiefel. Mit diesen Stiefeln konnten die Geddichtel meterhoch springen, um auch auf dem höchsten Haus und auf der höchsten Tanne ihren Weihnachtszauber zu verteilen. Wie jedes Jahr war ihr erster Halt der Schneckenhof. „Vielleicht weiß Helene ja, wieso die Kinder nicht draußen sind.“, sagte Frieda, während sie die Schleife ihres Stiefels noch einmal ganz fest zu zog. „Das ist eine gute Idee!“, antwortete Friedel lauthals. Er mochte Helene gerne. „Ich habe nur gute Ideen.“, grinste Frieda. 

Beim Schneckenhof angekommen konnten Frieda und Friedel Helene zunächst nicht sehen. Sie war zwar eine kleine Weinbergschnecke, die immer um das Weingut kroch, um zu schauen ob auf dem Weingut alles mit rechten Dingen zuging, aber da die Geddichtel selbst ja nur so groß waren wie eine Kinderhand, hatten sie eigentlich nie ein Problem Helene zu finden. „Vielleicht schläft Helen ja?“, fragte sich Friedel laut. „Ach Quatsch!“ entgegnete Frieda ihm „Helene ist doch immer aufmerksam und schläft fast nie.“ „Stimmt.“, murmelte der Geddichtel. Doch Friedas Gesicht schaute genau so verwundert drein wie Friedels. Plötzlich hörten sie jemanden laut gähnen: „Uuaahhh! Na, was macht ihr denn hier?“, hörten sie die alte, aber sanfte Stimme von Helene der Weinbergschnecke fragen. „Wir sind hier, um über das Weingut und den Weihnachtsmarkt unseren Weihnachtszauber zu streuen.

Das machen wir doch jedes Jahr!“, antwortete Friedel schnell. Auch wenn er eigentlich wusste, dass Helene bewusst war, was er und Frieda machten, war er immer ganz stolz, wenn er auch einmal eine schlaue Antwort geben konnte. Die Weinbergschnecke schaute die beiden ganz verdutzt an: „Ja wisst ihr es denn noch nicht?“ „Was meinst du?“, fragte Frieda. „Oh, ich vergesse jedes Jahr, dass ihr Sommerschlaf haltet. Wisst ihr Geddichtel, dieses Jahr ist alles anders. Auf der ganzen Welt gibt es gerade eine große Krankheit. Sie heißt Corona und viele Menschen sind schon an Corona erkrankt. Damit das aber nicht mehr passiert, müssen alle Menschen Zuhause bleiben, damit sich die Krankheit nicht weiterverbreitet. Das ist zwar sehr traurig, aber die Menschen wissen, dass es besser so ist. Umso weniger Freunde und Freundinnen sie treffen, desto schneller wird Corona wieder weggehen. Deshalb gibt es keine Feste oder Weihnachtsmärkte dieses Jahr.“ Frieda und Friedel konnten gar nicht glauben was sie da hörten. Corona? Keine Weihnachtsmärkte? Aber wo sollten sie denn dann ihren Weihnachtszauber verteilen, wenn nicht auf dem Weihnachtsmarkt. „Schade, die Plätzchen der Landfrauen sind immer so lecker.“, sagte Friedel mit sehnsüchtigem Blick auf den Platz, an dem die Landfrauen jedes Jahr ihre selbstgemachten Plätzchen verkauften. „Und der Glühwein erst!“, fuhr Frieda fort. „Und die Waffeln der Jungschar!“, sagten beide gleichzeitig, während ihnen das Wasser im Mund zusammenlief.

„Das wird es dieses Jahr alles nicht geben. Aber für mich ist das gar nicht so schlimm. Ich habe weniger Arbeit und kann dadurch mehr schlafen. Uuahh. Ich zieh mich dann mal wieder zurück.“, sagte Helene ruhig. Die gähnte noch einmal ganz laut und tief und zog sich zurück in ihr Schneckenhaus.

Frieda und Friedel waren immer noch ganz verwirrt. Ein paar Minuten schauten sie noch auf Helenes Schneckenhaus, das vor lauter Schnarchen leicht vibrierte. Doch dann hatte Frieda eine Idee: „Noch dürfen wir nicht aufgeben Friedel! Es gibt doch immer noch das Christbaumansingen des Gesangsvereins. Komm wir gehen zum Christbaum an der Bushaltestelle! Der kann uns bestimmt sagen, ob das Christbaumansingen dieses Jahr stattfindet.“ „Das ist eine gute Idee!“ freute sich Friedel. „Ich habe nur gute Ideen.“, grinste Frieda wieder.

An der Bushaltestelle angekommen raschelte der Christbaum schon vor Freude: „Frieda! Friedel! Wie schön euch zu sehen. Wie war der Sommerschlaf?“ Doch die Geddichtel waren so aufgeregt, dass sie die Frage völlig überhörten. Friedel fragte den Christbaum: „Hast du auch von diesem Corona gehört?“, und Frieda stellte gleich die viel wichtigere Frage: „Und weißt du, ob das Christbaumsingen dieses Jahr stattfindet?“ Da murmelte der Christbaum mit seiner tiefen Stimme: „Nein, leider fällt das dieses Jahr aus. Aber mir ist das ganz recht. Ich hatte jedes Jahr nach dem Ansingen ein paar Tage Ohrenschmerzen und konnte deshalb nicht aufmerksam genug auf die Kinder aufpassen, während sie in der Kälte auf den Bus warteten.“ Der Christbaum nahm seinen Job sehr ernst. Mit seinen dichten Aesten wärmte er die Kinder in der Kälte. Und wenn der Bus kam, raschelte er mit aller Kraft, um die Kinder darauf hinzuweisen, dass sie den Bus nicht verpassten.

Traurig, aber mit der Gewissheit, dass der Christbaum gut auf die Kinder von Geddelsbach achtgab, liefen die Geddichtel weiter. Sie mussten das erstmal verdauen und darüber nachdenken, was sie nun machten. Schließlich hatten sie eine Aufgabe zu erledigen. Doch wie sollten die Einwohner*innen von Geddelsbach ein schönes Weihnachtsfest habe, ohne sich zu sehen und vor allem ohne den Weihnachtszauber der Geddichtel?

Sie liefen und liefen, bis sie an einer Bank im Weinberg ankamen. Die Bank stand an einer Weggabelung und von dort konnte man über ganz Geddelsbach schauen. Mittlerweile war es wieder dunkel geworden und plötzlich fielen Frieda und Friedel etwas aus, was sie zuvor gar nicht wahrgenommen hatten: Alle Häuser leuchtete hell. An jedem Haus hingen Lichterketten jeglicher Art. An manchen Häusern hingen mehr, an manchen weniger. In manchen Fenstern hingen Sterne, in anderen Weihnachtsmänner. Aus den Schornsteinen der Häuser kam leicht goldener Rauch, was bedeutete, dass die Menschen Plätzchen backten.

Wenn man von oben auf Geddelsbach herabblickte, gab es keinen Unterschied zu den vergangenen Jahren zu erkennen. „Weißt du was das bedeutet, Friedel?“, lachte Frieda ganz klar, als fielen ihr plötzlich Schuppen von den Augen. „Ehrlich gesagt nicht.“, antwortete Friedel verdutzt. „Die Menschen feiern trotzdem Weinachten! Sie dürfen zwar nicht ihre Freunde und Freundinnen auf den Weihnachtsmärkten treffen, aber das bedeutet ja nicht, dass Weihnachten ausfällt. Sie feiern Weihnachten mit ihren Familien in ihren Häusern.“, erklärte ihm Frieda. „Das ist aber sehr schlau von den Geddelsbacher*innen. Denn wenn man im Haus bleibt, kann man auch niemanden anstecken.“, fügte Friedel hinzu. „Weißt du was Friedel? Da sagst du etwas sehr schlaues.“ Frieda wurde sogar ein bisschen stolz auf ihren Zwillingswichtel. „Und weißt du was das noch bedeutet?“, fragte sie ihn noch einmal. „Dass wir trotzdem unseren Weihnachtszauber verstreuen können, wenn es schon nicht auf den Weihnachtsmärkten und dem Christbaumsingen geht, dann hat es jede Familie in Geddelsbach verdient, dass sie ihren ganz eigenen Zauber bekommt.“, antwortete Friedel Frieda, wie aus der Pistole geschossen.

Und so sprangen sie mit ihren Sprungstiefeln los und verteilten den Zauber der Weihnachten auf jedem Haus in Geddelsbach. Sie achteten sehr genau darauf, dass jedes Haus gleich viel Zauber abbekam. Und darauf, dass sie sich während dem Verteilen nicht aus den Augen verloren. Sie mussten jetzt schließlich zusammenhalten!

Nach 24 Tagen waren die Geddichtel fertig und zogen sich zurück unter den Dachgiebel der Kelter. Völlig erschöpft, aber mit einem guten Gefühl, fielen sie in ihre Betten. „Weißt du was?“, sagte Friedel zufrieden, aber aus der Puste. „Hauptsache wir haben uns!“ „Das hast du aber schön gesagt“, erwiderte Frieda. Und so schliefen die beiden langsam ein. Mit der Gewissheit, dass jeder im Ort ein schönes Weihnachtsfest hatte. Im Halbschlaf murmelte Friedel noch: „Frohe Weihnachten Geddelsbach. Bis nächstes Jahr!“

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