Geschichten aus dem Leben

„Charakterlich echt ein nettes Mädchen, aber nun mal einfach nicht die Hellste“

Abitur 2018.
Das habe ich letztes Jahr geschrieben. Wobei geschrieben der einzig treffende Begriff ist. Ich habe es nämlich nicht bestanden.
Lasst mich euch kurz erzählen wieso:

Ich musste in zwei mündliche Nachprüfungen, da ich in allen schriftlichen Fächern nur jeweils 4 Punkte erreicht hatte. Die erste mündliche Nachprüfung war Englisch. Ich war so unglaublich nervös, dass ich die Aufgaben, die ich anhand eines Textes lösen sollte, falsch verstand. Was ich aber erst bemerkte als ich im Prüfungsraum vor den Prüfern und meiner Englischlehrerin saß und sie mir die entsprechenden Fragen stellten. Ich wurde noch nervöser, begann fast zu weinen und mir wurde klar: das kann nichts mehr werden!
Es war so ein unglaublich deprimierendes Gefühl. Ich hätte es schaffen können, wenn diese scheiß Nervosität nicht gewesen wäre. 
Als ich dann zurück in den Prüfungsraum gerufen wurde, sagte mir der Prüfer, was mir eigentlich schon klar war: “ Sie haben leider nicht bestanden.“

Am Anfang hab ich das Ganze noch ganz gut weggesteckt. Ich dachte mir, es sei okay, das Leben geht weiter und ich mache jetzt einfach das Beste daraus.
Natürlich hätte ich es wiederholen können, aber die Angst, es wieder nicht zu bestehen und diese Niederlage nochmal erfahren zu müssen, war einfach zu groß.
Also musste ich nun so schnell wie möglich eine FSJ-Stelle finden, um meine Fachhochschulreife zu bekommen. Durch ganz viel Glück und einen passenden Zufall bekam ich eine Stelle am Badischen Staatstheater Karlsruhe in der Theaterpädagogik. Mein absolutes Traumfsj! Aber dazu komme ich später…

Nach ein paar Monaten holte mich ein was ich die ganze Zeit verdrängt hatte: du hast es nicht geschafft. Du bist einer dieser dummen Schüler, die es nicht geschafft haben. So viele Vollidioten haben es geschafft, nur du nicht. Das war doch klar.
Ich hatte das Gefühl, es all den Lehrern, die nicht an mich geglaubt hatten, die mir das Gefühl vermittelt hatten, dass ich nie etwas in meinem Leben erreichen kann, nur weil ich keine 15-Punkte-Schülerin in Mathe oder Deutsch, oder ja, auch in Englisch bin, bewiesen zu haben, dass ich nichts erreichen werde. Ich habe angefangen von meiner Prüfung zu träumen. Immer und immer wieder. Einmal, wie ich doch noch die Kurve bekommen habe. Einmal, wie ein Lehrer auf mich zukam, um mir zu sagen, dass sie meine Ergebnisse vertauscht hatten und ich doch bestanden habe. Und noch viele andere Träume.Wahrscheinlich war es einfach ein Prozess der Verarbeitung. Aber es war sehr hart, sogar im Traum daran erinnert zu werden. Immer wenn Andere über ihr Abitur redeten, versuchte ich ganz ruhig zu bleiben, um nicht gefragt zu werden, wie es denn bei mir gelaufen war. Es war mir am Anfang, naja eigentlich sogar noch bis vor ein paar Wochen, peinlich darüber zu reden und „zugeben“ zu müssen, dass ich das Abitur gar nicht bestanden habe. Ich hatte Angst, dass man mich dann weniger achtet und mich belächelt, ganz nach dem Motto „charakterlich echt ein nettes Mädchen, aber nun mal einfach nicht die Hellste“. 
Und ich HASSTE es!!! Jedes mal dieser Kloß im Hals und dieser Gedanke, zu meinen genau zu wissen, dass sie dich jetzt auf jeden Fall so belächeln.
Und vor ein paar Wochen wurde mir klar warum ich genau das dachte, auch wenn es vielleicht (nagut, in den meisten Fällen wahrscheinlich doch) nicht stimmte:
Die Leute die mit mir in einer Klasse waren, können das höchstwahrscheinlich bestätigen. Ich war immer auf eine Art und Weise der Klassenclown. Die Jenige, die den Unterricht nicht immer wirklich ernst nahm und sich gerne mal mit Lehrern stritt. Ich war nie wirklich motiviert zu lernen, was sich dann natürlich in meinen Noten wiederspiegelte. Und immer die Jenige die eher ihr eigenes, künstlerisches und freies Ding durchziehen wollte, als sich an den Lehrplan zu halten. An all die Klassenclowns und Freidenker da draußen: Ich war wie ihr!;)
Und bin es wahrscheinlich immer noch.
Vor allem in meinen letzten drei Jahren Schulzeit, in denen ich nach der neunten Klasse von einem allgemeinbildenden Gymnasium zu einem sozialwissenschaftlichem Gymnasium gewechselt hatte, hat sich eine gewisse Theorie bei mir mehr als bestätigt. Dadurch, dass mich die Lehrer als den oben beschriebenen Klassenclown sahen und mich das auch haben fühlen lassen, habe ich versucht aus diesem Schema des Klassenclowns zu entfliehen. Jedoch habe ich mich, um diesem Schema zu entkommen, genau so verhalten wie sie mich sahen. Self fulfilling prophecy. Die ich selbst erfüllende Prophezeiung. (falls ihr eine bessere Erklärung dazu wollt oder mehr Informationen, habe ich hier einen Link für euch: https://www.anti-bias.eu/allgemein/pygmalion-effekt/ )
Mittlerweile bin ich mir ziemlich sicher, dass mir genau diese „Prophezeiung“ zum Verhängnis wurde. Die Lehrer dieses sozialwissenschatlichen Gymnasiums hielten nicht viel von mir. Ihnen war klar, dass ich es zu nichts bringen würde.

Soviel zu meiner Schulzeit.
Ich startete also mit all den vergangenen Erfahrungen in mein freiwilliges soziales Jahr am Badischen Staatstheater. Und vorab schon mal ein kleiner Spoiler: das beste Jahr meines Lebens bisher.
Endlich konnte ich mich in den Dingen beweisen, die ich wirklich gut kann. Aber nicht nur das. Ich lernte mich zu organisieren (Ladies and Gentleman! Ich führe Kalender! Wer hätte das jemals von mir gedacht :D), wie man mit neuen Aufgaben umgeht und wuchs in vielen Momenten über mich hinaus. Mir wurde vertraut und bestätigt, dass ich gut bin in dem, was ich tue. Man hat mir sogar Aufgaben zugetraut, die man anderen FSJlern bislang noch nicht zugetraut hatte (ein bisschen Eigenlob ist hier doch jetzt mal angebracht;) ). Und das tat echt gut. Mein Selbstbewusstsein baute sich in vielen Dingen wieder auf.
Aber ewig konnte ich natürlich (leider) nicht im Theater bleiben.  Von meiner Mutter erfuhr ich, dass sie auf ihrer Arbeitsstelle noch eine*n duale*n Student*in für soziale Arbeit suchen. Dieses Studienfach interessierte mich, also dachte ich mir, bewerbe ich mich mal. Ich wurde ziemlich schnell genommen und der Vertrag wurde unterschrieben. Es fehlte nur noch der sogenannte Studierfähigkeitstest. Diesen Test benötigt man, wenn man an der DHBW studieren möchte und „nur“ die Fachhochschulreife hat. Man kann den Test drei mal wiederholen.
Ich lernte sieben Wochen im Vorraus. Es war dann irgendwann soweit und was soll ich sagen… Der Schwierigkeitsgrad war noch höher als gedacht, ich wurde wieder nervös und fiel durch.
Noch ein Rückschlag. Schon wieder. Es war so frustrierend und ich hatte das Gefühl es all den Lehrern, die nicht an mich geglaubt hatten, es auf`s neue bewiesen zu haben. Ich heulte gefühlt zwei Tage durch und meldet mich schließlich erneut zum Test an. Zu meinem Freund sagte ich: “ Wenn ich den Test ein zweites Mal nicht bestehe, mach ich ihn kein drittes mal.“ Ich wollte einfach keine drei bzw. vier Rückschläge hintereinander.
Long story short: ich fiel ein zweites mal durch.
War ja klar, als ob du es jemals schaffen könntest, dachte ich mir. Du bist einfach nicht gut genug!
Trotzdem meldet ich mich ein drittes mal. Hing mich jetzt noch mehr rein und lernte noch mehr.
Und beim dritten und letzten Versuch bestand ich ENDLICH!!! Ich kann immer noch nicht beschreiben was das für ein Gefühl war. Endlich, endlich, endlich bekam ich den Lohn für die ganze Mühe und die ganze Arbeit.
Ich werde nun im Oktober anfangen zu studieren und bin unglaublich stolz auf mich. Vor allem darauf, dass ich nicht aufgegeben habe.
Im Endeffekt kann ich sogar sagen, dass das Abitur nicht zu bestehen, das Beste war, was mir hätte passieren können. Ich hätte sonst nie dieses tolle FSJ gemacht. Hätte nie all die Erfahrungen sammeln dürfen und hätte nie so wundervolle Menschen kennen gelernt (Grüße gehen an dieser Stelle raus an meine Karlsruher! I love you!)

Warum erzähle ich euch das jetzt alles?
Weil ich weiß wie ihr euch fühlt. Alle die, die nie dafür geschätzt wurden, was sie können. Alle die, die nur als Klassenclowns und Nichtskönner belächelt wurden. Alle die, denen das Gefühl vermittelt wurde, dass sie nichts können und nie etwas erreichen werden, nur weil sie kein Abitur, keine 15 Punkte in Mathe oder keine Belohbigung zum Endjahreszeugnis bekommen haben.
Das hört sich jetzt alles ziemlich pathetisch an, ABER nicht aufgeben lohnt sich wirklich. Und irgendwann werdet ihr die Lorbeeren dafür ernten. Sei es in einem Jahr, in fünf Jahren oder auch schon in ein paar Wochen.

Ich hoffe ich konnte euch mit meiner Geschichte ein bisschen Hoffnung geben. Auch wenn es jetzt etwas endlos erscheint, irgendwann wird es sich auszahlen.
Glaubt an euch und seid stolz auf euch. Es wird sich lohnen.

Ich danke meinen Kollegen aus dem Staatstheater, meinem Freund, meiner Nebensitzerin und allen anderen die an mich geglaubt und unterstützt haben.
Jetzt genug mit dem pathetischen Gerede.

Believe in you!
Lots of Love an JOY,
Lina

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