Faulheit zur Freundlichkeit
Ich stehe am Bahnhof. Der Tag war lang und der Stress zu viel. Total genervt steige ich in die Bahn nachdem sie mit, wieder einmal, 5 Minuten Verspätung in den Bahnhof einfährt.
Ich steige ein und suche mir einen Sitzplatz. Es sind genug frei. Wenigstens etwas Positives an diesem Tag.
Als ich vor mich hin träume und mit den Gedanken schon längst zu Hause in meinem Bett bin, sehe ich plötzlich einen süßen, kleinen Opa mit Rollator.
Er steht. Er hat keinen Sitzplatz. Ich würde ihm ja meinen anbieten, ich wurde schließlich so erzogen. Ich habe Anstand und Respekt vor Älteren… Aber ich tue es nicht.
Ich schweige und starre ihn an.
Wenn ich ihm meinen Sitzplatz anbieten würde, müsste ich dabei lächeln. Schließlich ist es mit einem Lächeln viel freundlicher und wenn ich nicht lächle denkt er vielleicht, dass ich ihm nur meinen Sitzplatz anbiete , weil „es sich so gehört“, und dann fühlt er sich vielleicht schlecht, weil er denkt, dass er alt ist und anderen zu Last fällt. Und wenn er sich hinsitzen wollen würde, hätte er es sicher schon lange getan, schließlich sind genug Plätze frei!
Und ich denke. Denke wie ich lächeln müsste, denke wie ich dann stehen müsste, denke und denke. Und starre den Opa nur weiter an.
Ich hatte einen langen Tag und ihn scheint es ja nicht zu stören stehen zu müssen. Und ich bin dafür jetzt auch wirklich viel zu faul.
Die Bahn hält an meiner Haltestelle. Ich steige aus. Auf dem Weg zur Bushaltestelle sehe ich eine alte Freundin.
Wir hatte eine schöne Zeit zusammen. Und eigentlich mögen wir uns ja schon noch. Trotzdem begegnet wir uns nur noch ungewollt und zufällig. Wir schauen uns an und schnell wieder weg, in der Hoffnung, dass die Andere einen nicht gesehen hat. Doch ihm Endeffekt ist uns beiden klar: Sie weiß, dass ich ihr entgegenkomme.
Und so blicke, naja, starre trifft es schon eher, ich in eine andere Richtung. Ich hoffe sie tut es auch, denn auf ein oberflächliches Gespräch mit den Worten: „Und wie geht’s dir so?“ , “ Ja danke mir auch, also… Man sieht sich“ , habe ich jetzt sowieso keinen Bock.
Und wenn ich ihr noch wichtig wäre, könnte sie ja auch mir „Hallo“ sagen!
Ich hatte einen langen Tag und sie scheint es ja auch nicht zu interessieren, dass sie mich gesehen hat. Und ich bin jetzt auch wirklich viel zu faul dafür.
Zu Hause angekommen, schaue ich in den Spiegel und bemerke, dass meine Lachfalten schon lange verstrichen sind und sich eine runzlige, böse guckende Falte auf meiner Stirn gebildet hat.
So gehe ich ohne ein Lächeln ins Bett.
Gute Nacht.
Lots of Love and JOY,
Lina